Kerstin Rosenberg interviewt den Ayurveda-Arzt Prof. Dr. Gangadharan, Medical Director des I-AIM (=Institute of Ayurveda and Integrative Medicine)
Übergewicht ist in der heutigen Zeit ein großes Thema. Nicht nur aus optischen Gründen, sondern auch aus gesundheitlichen Gründen wollen viele Menschen abnehmen. Ist Übergewicht auch aus ayurvedischer Sicht so gefährlich für die Gesundheit? Welche Krankheiten können daraus resultieren?
Gemäß Ayurveda ist Übergewicht (sthaulya) ein sehr unerwünschter Zustand im Vergleich zu Schlankheit (karshyam). Sthaulya wird als einer der acht Zustände beschrieben, die schwierig zu heilen sind (Maharogas). Übergewicht ist der Ausgangspunkt für Kapha-Erkrankungen. Diabetes Mellitus, koronare Herzkrankheit (KHK), Hauterkrankungen und Leberprobleme können Folgen von Übergewicht sein. Ayurveda rät grundsätzlich dazu, den Körper fit zu halten und nicht den Risiken des Übergewichts zu überlassen.
Bitte definieren Sie Übergewicht aus ayurvedischer Sicht. Was ist auf körperlicher, funktionaler und eventuell mentaler Ebene gestört?
Aus ayurvedischer Sicht kommt es bei Übergewicht zu einer Störung von Kapha und Medhas, hervorgerufen durch ein gestörtes Verdauungsfeuer und die Entstehung von Ama (unvollständig verstoffwechselte, primäre Nährstoffe) im Körper. Durch Ama werden Mikrokanäle im Körper ganz oder teilweise blockiert. Dadurch wird Medhas erhöht (Fettgewebe). Aus dem erhöhten Fettanteil im Körper resultiert übermäßiger Schweiß mit unangenehmem Geruch. Das Übergewicht schränkt die körperlichen Bewegungsmöglichkeiten ein, so dass in Folge auch die physischen Aktivitäten eingeschränkt werden. Bei Männern sinkt die Libido. Mental wirkte es belastend aufgrund des sozialen Stigmas, das mit Übergewicht verbunden ist. Insgesamt wirkt Übergewicht sowohl psycho-somatisch als auch sozial negativ.
Kann jeder Mensch übergewichtig werden? Oder sind nur bestimmte Konstitutionen davon betroffen?
Theoretisch können Kapha-Prakritis, Kapha-Pitta-Prakritis oder Kapha-Vata-Prakritis übergewichtig werden. Es ist sehr schwierig für Vata-Konstitutionen, Vata-Pitta-Konstitutionen und Vata-Kapha- Konstitutionen, übergewichtig zu werden, selbst wenn sie es versuchen. Dies hängt zusammen mit den genetischen Voraussetzungen solcher Personen, die wiederum bestimmt werden zum Zeitpunkt der Befruchtung und der Entstehung der Zygote im Mutterleib. Daher sollten Personen, bei denen Kapha konstitutionsbestimmend vorhanden ist, besonders vorsichtig sein in ihrer Ernährung und in ihrem Lebensstil, um Übergewicht zu verhindern.
Worauf ist in der ayurvedischen Behandlung von Adipositas-Patienten zu achten? Welche Therapien (Massagen, Ernährung, Massage, Kräuter ...) wirken besonders gut?
Bei Adipositas-Patienten ist eine ausgewogene Ernährung, die Energie gibt ohne das Fettgewebe zu erhöhen, von höchster Wichtigkeit. Ernährung und Medizin sollten so ausgewählt werden, dass sie das Verdauungsfeuer auf Gewebsniveau anregen und helfen, die Mikrokanäle zu öffnen, über die Nährstoffe aufgenommen werden, so dass die Nahrung aus dem Darm bis in die letzte Zelle des Körpers gut aufgenommen werden kann. Verschiedene reduzierende Therapien sind bei Übergewicht hilfreich.
Eine Möglichkeit ist der Körperguss (Dhanyamla Dhara) mit medizinierten Flüssigkeiten. Diese sollten die Eigenschaft haben zu reduzieren, sowie Kapha und Ama zu trennen und aus dem Körper herauszulösen. Außerdem sollten sie tiksna sein, d.h. scharf, durchdringend, um die Kanäle im Körper zu öffnen. Der Körperguss ist sehr effektiv in der ersten Phase einer Behandlung. Er kann in Kombination mit einer Pulvermassage für 7 Tage angewendet werden. Die Pulvermassage (Udvartanam) sollte in umgekehrter Richtung (von den Füßen zum Kopf) mit starkem Druck durchgeführt werden. Dies ist sehr effektiv, um Körpermasse zu reduzieren.
Auf Dhanyamla Dhara und Udvartana folgt eine Körpermassage mit Steinsalz-Öl (gemäß Bhaishajyaratnavali). Mehr Druck und mehr Zeit sollten auf den Bauch und das Gesäß verwendet werden. Um diese Behandlungen noch effektiver zu gestalten, sollten 14 Tage reinigende Einläufe mit kapha-reduzierenden Kräutern sowie Abführmittel verabreicht werden. Diese 21-tägige Panchakarma-Behandlung ist sehr hilfreich. Die Nahrung sollte charakteristischerweise kapha- und medhas-reduzierend sein. Folgende Nahrungsmittel erscheinen sinnvoll und sind auch in Europa erhältlich:
• Gemüse: bitter, etwas scharf und zusammenziehend, wie z. B. Blätter des Meerrettichbaums (Moringa oleifera = drumstick leaves), Ladyfinger, (Schlangen-)Gurke, weißer Kürbis.
• Getreide und Hülsenfrüchte: Gerste, Pferdebohne (Macrotyloma uniflorum), roter Reis (unpoliert, mehr als ein Jahr gelagert), Vollkornweizen, unpolierte Fingerhirse (Ragi)
• Früchte: Granatapfel, Datteln und alle trockenen Früchte, Zuckerrohrsaft, weiches Kokosnuss-Wasser, entrahmte Buttermilch gekocht mit Kurkuma, Kreuzkümmelsamen und Curry-Blätter.
• Gekochtes Trinkwasser mit ein wenig Kreuzkümmel und Koriandersamen
• Mango ist nicht empfehlenswert.
• Nahrungsmittel, die Hefe beinhalten, sollten nicht regelmäßig konsumiert werden.
• Vermeiden Sie helles Mehl und tiefgefrorene Lebensmittel.
• Nicht-Vegetarier sollten rotes Fleisch meiden sowie Fleisch von sehr fleischigen Tieren.
• Kleine, nicht-ölige Fische und Geflügel sind in Ordnung.
• Trinken Sie kein kaltes Wasser, konsumieren sie keine Eiscreme oder Schokolade.
Was können Patienten tun, um nach einer erfolgreichen Kur zu vermeiden, wieder zuzunehmen?
Menschen sollten körperlich aktiv sein. Schwimmen, Walken und Radfahren sind exzellente Übungen, da sie alle Muskeln des Körpers beanspruchen. Korrekte Yoga-Übungen in Kombination mit Bhastrika Pranayama (eine spezielle Atemübung) ist ratsam. Von besonderer Bedeutung ist innere Ruhe / Gemütsruhe. Man sollte tagsüber nicht schlafen. Viele Menschen sind sich nicht bewusst, das Tagesschlaf Trägheit fördert und in Folge Übergewicht entstehen kann. Nur Personen jenseits der 60 Jahre sollten einen Mittagsschlaf genießen. Alle anderen nur bei extremen Sommern. Wenn man tagsüber sehr dringend Schlaf benötigt, ist die beste Alternative, in Schräglage zu schlafen (leicht aufrecht). Diese kleine Veränderung bringt Gutes für die Gesundheit des Körpers.
Haben Sie noch eine persönliche Empfehlung oder Erfahrung, die Sie betroffenen Patienten mit auf den Weg geben möchten?
Es gibt die Geschichte eines Arztes, der einem übergewichtigen Patienten die Leviten las: Er würde innerhalb der nächsten 40 Tage eh sterben und brauche daher keine Behandlung. Der Patient kehrte am 41. Tag zurück, mit der Hälfte seines Gewichts. Er hatte abgenommen aufgrund der Angst vor dem bevorstehenden Tod. Der Arzt sagte ihm, dass seine Worte tatsächlich die Therapie darstellten mit der Intention, die Körperkanäle zu öffnen.
Durch die Anwendung der Prinzipien der Punkte 1 – 5 konnte ich bis zu 20 kg Gewichtsreduktion bei Patienten erzielen innerhalb von 3 Monaten, wovon 3 Wochen in Form stationärer Behandlung durchgeführt wurden. Aus meiner Erfahrung ist es für reine Kapha-Prakriti-Menschen sehr schwierig, das Gewicht zu reduzieren. Es ist vergleichsweise einfach bei Kapha-Pitta-Prakriti und auch bei Kapha-Vata-Prakritis.