Modifizierte randomisierte kontrollierte Studie zur Beurteilung von Ayurveda-Behandlungen auf der Basis von Mehrfachrezepturen

Artikel von Vaidya Ram Manohar MD (Ayu)

Eine genaue Analyse der klassischen Ayurveda-Texte verrät, dass ein evidenzbasierter Ansatz zur klinischen Praxis bereits in einer sehr frühen Phase der Entstehungsgeschichte des Ayurveda bekannt war. Die Charaka Samhita (das gefeierte Lehrbuch zur allgemeinen Medizin) betont ausdrücklich, dass Ergebnisse aus der klinischen Praxis durch Belege und logische Argumentation untermauert werden sollten. Nicht nur das: Falls klinische Ergebnisse nicht mit überzeugenden Nachweisen belegt werden können, so muss der Erfolg als zufällig abgewiesen werden. Es ist ziemlich erstaunlich, dass sich ein evidenzbasierter Ansatz mehrere tausend Jahre vor unserer Zeitrechnung bereits in die Tradition des Ayurveda verwurzelt hatte.

Skeptsis gegenüber ayurvedischer Behandlungen

Noch verblüffender ist, dass klinische Ergebnisse und die Aufgaben von medizinischen Eingriffen sehr kritisch und skeptisch betrachtet wurden – so sehr, dass die Wirksamkeit von ayurvedischen Behandlungen sogar von Studenten angezweifelt wurden, von Skeptikern außerhalb der Gemeinde gar nicht zu sprechen.

Agnivesha, ein hervorragender Student Sage Atreyas, dem Gründer der ayurveda-medizinischen Schule, stellt seinen Lehrer in Frage und nimmt dabei kein Blatt vor den Mund. Ganz freimütig sagt er seinem Lehrer, dass er von der Wirksamkeit der auyrvedischen Behandlung im wirklichen Leben nicht überzeugt sei, nämlich aus dem einfachen Grund, dass neben den Patienten, die vom besten Arzt behandelt würden, auch jene manchmal wieder gesund würden, die keine medizinische Behandlung erhielten. Da dies eine Frage der direkten Beobachtung sei, könne klar geschlussfolgert werden, dass der Ayurveda überhaupt keinen Nutzen bringe.

Ähnliche Fragen und Aussagen wurden auch von einem Skeptiker namens Maitreya formuliert: Sich einer Ayurveda-Behandlung zu unterziehen sei wie der Versuch, einen strömenden Fluss mit einer handvoll Sand auszutrocknen.

Der Anspruch nach Belegen zum Nachweis der Wirkung des Ayurveda ist kein neues Phänomen. Die Antworten zu den heutigen Infragestellungen, die von der wissenschaftlichen Welt an den Ayurveda herangetragen werden, können nur durch eine genaue Forschung der ayurvedischen Tradition selbst gefunden werden.

Es ist relativ interessant und aufschlussreich zu sehen, wie Sage Atreya diese Fragen beantwortet, denn er erzwingt nicht etwa einen blinden Glauben, sondern erarbeitet eine Methodik zur Evidenzfindung, welche den Nachweis zur Wirksamkeit von ayurvedischen Behandlungen erbringt. Atreya betont, dass die Verwirrung hinsichtlich der definitiven Aufgabe von medizinischen Behandlungen auf einem fehlerhaften Denken und einem Fehlen von Verständnis für den Krankheitsprozess selbst fußt. Er stellt klar, dass die Funktion der Medizin erst durch ein Verständnis des natürlichen Krankheitsablaufs wertgeschätzt werden kann.

Krankheiten weisen unterschiedliche Verläufe auf und nicht alle müssen behandelt werden. Es gibt Erkrankungen, die sich selbst limitieren oder sich spontan (abheṣajasādhya) auflösen und somit keinerlei medizinische Zuwendung nötig haben. Andererseits gibt es Krankheiten, die auf keinerlei Behandlung ansprechen (bheṣajāsādhya). Ein Arzt riskiert seine Reputation, wenn er Behauptungen vorbringt und diese Arten von Krankheiten behandelt. Die Nützlichkeit des Ayurveda kann bei Erkrankungen, die eine Änderung im Krankheitsverlauf als Reaktion auf eine medizinische Behandlung nach sich ziehen, klar nachvollzogen werden (bheṣajasādhya).

Wenn man die Behandlungsergebnisse anhand von medizinischem Hintergrundwissen zum natürlichen Verlauf von Erkrankungen interpretiert, so können die Vorteile einer medizinischen Behandlung erkannt werden. Wer einen Behandlungserfolg vorgibt, obwohl es sich bei der Erkrankung um eine selbstlimitierende Form handelt, urteilt falsch. Somit ist es auch falsch, eine medizinische Behandlung als sinnlos abzutun, wenn diese den Verlauf einer unheilbaren Krankheit nicht ändern kann. Zudem ist es wichtig anzumerken, dass der Ayurveda den Arzt ermahnt, sich nicht durch falsche Anzeichen der Besserung irreführen zu lassen. So kann es sich bei einem Wechsel von matt und grau zu strahlend im Erscheinungsbild des Patientengesichts nach verlängerter Erkrankung an rājayakṣmā (eine Krankheit, die durch einen Zusammenbruch der allgemeinen Abwehr gekennzeichnet ist und den Patienten für viele weitere Erkrankungen anfällig macht) nicht unbedingt um eine Besserung des Krankheitszustands handeln, sondern kann auch auf eine Verschlechterung hinweisen. Hier muss der Arzt wachsam sein, was eventuell falsche positive Zeichen klinischer Besserung anbelangt und diese sehr sorgfältig interpretieren.

Die ayurvedischen Texte weisen explizit darauf hin, dass positive Ergebnisse, welche sich nach einer medizinischen Behandlung ergeben, nicht unbedingt die Wirksamkeit der Behandlung beweist. In demselben Maße sei ein negatives Ergebnis ein Beweis für die Sinnlosigkeit einer Behandlung. Mit anderen Worten: Zufälle sind kein Beweis für Ursachen. Die multifaktorielle Eigenschaft von kausalen Zusammenhängen muss verstanden werden. Sie ist die Grundlage des Ayurveda, der auf yukti basiert, dem Verständnis für die Rolle, die eine Vielzahl von Faktoren im Hintergrund des Erscheinungsbildes eines jeden beliebigen Phänomens spielen. So sollte jede Behandlung, die durchgeführt wird, nochmals hinsichtlich ihrer Wirksamkeit, ob im positiven oder negativen Sinne, näher betrachtet werden, dies auch dahingehend ob und bis zu welchen Grad die Behandlungsergebnisse von der Behandlung selbst beeinflusst wurden. Dies ist der praxisbasierte Ansatz, der in den klassischen Ayurveda-Texten befürwortet wurde.

Verschiedene Ansätze der Evidenz

Obwohl Ayurveda derzeit weltweit an Aufmerksamkeit und Popularität gewinnt, wird er von der wissenschaftlichen Welt und von Behörden in Frage gestellt. Um seine Bedeutung in der weltweiten Gesundheitsfürsorge zu legitimieren, muss der Ayurveda die Herausforderung annehmen und Daten liefern, welche die Ungefährlichkeit und Wirksamkeit seiner Medikamente und Behandlungsformen belegen. Dies ist jedoch keine Herausforderung ohne Präzedenz. Tatsächlich handelt es sich um eine andauernde Skepsis, die den blinden Glauben konfrontiert, und um eine Gelegenheit, daraus einen festen Zustand sachkundigen Glaubens, der Ayurveda stärken und stabilisieren kann, zu entwickeln. Nicht die Erfordernis nach Evidenz ist heute von Interesse für den Ayurveda; es ist vielmehr die Art der Evidenz, nach der derzeit verlangt wird. Jene Evidenz, die für die Wissenschaft akzeptabel ist, wird aus einer reduktionistischen Betrachungsweise des Wissens generiert und kann somit nicht immer erfolgreich bei einem Wissenssystem wie dem auf Ganzheitlichkeit basierenden Ayurveda angewandt werden.

Der ayurvedische Ansatz zur Evidenz ist hauptsächlich klinischer Natur und basiert auf der retrospektiven Analyse, während der moderne wissenschaftliche Ansatz vornehmlich experimentell ist und auf der prospektiven Analyse fußt. Im Kontext der Biomedizin haben wir den evidenzbasierten Medizinansatz, in welchem Evidenz vor Praxis geht. Evidenz wird im Labor generiert und dann in der Praxis nachgewiesen. Im Ayurveda jedoch haben wir einen Ansatz, der praxisbasierte Evidenz ist, wonach die Evidenz der Praxis folgt. Mit anderen Worten: Evidenz wird aus der klinischen Praxis heraus hervor gebracht. Laboruntersuchungen zur Begründung der Evidenz werden erst später durchgeführt. Aus dieser Betrachtungsweise heraus haben indische Wissenschaftler etwas vorgeschlagen, was als umgekehrter Pharmakologie-Ansatz zur Medikamentenforschung bekannt ist. Dieser Ansatz arbeitet an der Philosophie, Hinweise aus der klinischen Praxis zu erhalten, um Laborforschung zur Medikamentenentwicklung zu betreiben.

Ayurvedischer Ansatz

Es gibt Gründe für diesen wesentlichen Ansatzunterschied zum Evidenzerhalt im Ayurvda und der Biomedizin. Ayurveda ist ein Gesundheitssystem, das seit einigen tausend Jahren in Mode ist. Die zahlreichen Kräuter und Rezepturen in der Pharmakopöe des Ayurveda weisen eine lange Geschichte hinsichtlich der Anwendung am Menschen auf. Weiterhin sind ayurvedische Behandlungen multimodal und müssen oftmals individuell für den Patienten angepasst werden. Daher können vor der Anwendung in einem bestimmten Fall keine Studien an einer umfangreichen Bevölkerung durchgeführt werden. Ayurveda-Ärzte verändern die Kombination einer bestimmten Zusammenstellung von bekannten Kräutern entsprechend der Eigenarten eines Patienten. Wenn hin und wieder ein neues Kraut entdeckt wird, wird der prospektive und experimentelle Ansatz zum Verständnis seiner Eigenschaften und klinischen Anwendungsmöglichkeiten angewandt.

Wissenschaftlicher Ansatz

In der Biomedizin hingegen wird eine krankheitsorientierter Ansatz angewandt – ein Medikament wird eher auf den Krankheitsprozess angesetzt als auf den einzelnen Patienten. Die Medikamente werden fast immer püriert, es sind isolierte chemische Inhalte, die bislang noch nie am Menschen verwendet wurden und sie werden zunächst im Labor, dann an Tieren und dann an Menschen, die alle am gleichen Krankheitsprozess leiden, getestet.

Der randomisierte klinische Studienaufbau (RCT), in dem das untersuchte Medikament einer Gruppe von Patienten verabreicht wird und mit einer Negativ- (Placebo) und Positivprobe (Probemedikament) verglichen wird, stellt sozusagen den Goldstandard für wissenschaftliche Beweise im Bereich der Biomedizin dar. Die Verblindung bzw. Geheimhaltung der Probanden und Untersucher ist ein weiterer wesentlicher Aspekt des Studienprotokolls.

Dieser Studienaufbau (RCT) und der prospektive Evidenzansatz sind der ayurvedischen Tradition nicht gänzlich fremd. In Ayurveda-Texten wird die prospektive Korrelation (pūrvavat anumāna), retrospektive Korrelation (śeṣavat anumāna) und die simultane Korrelation (sāmānyato dṛṣṭa) von kausalen Zusammenhängen besprochen. In der indischen Logiktradition gibt es das Konzept, eine kausale Beziehung mithilfe von positiven und negativen Kontrollen zu belegen. Der Kontext, in dem ein kausaler Zusammenhang vermutet wird und noch bewiesen werden muss, nennt sich pakṣa; jener, in dem ein kausaler Zusammenhang bereits begründet wurde, wird sapakṣa genannt. Der Kontext, in dem der kausale Zusammenhang als nicht existent bewiesen wurde, wird vipakṣa genannt. Pakṣa entspricht dem Versuchsmedikament in Prüfung, sapakṣa der positiven Kontrolle bzw. dem Kontrollmedikament und vipakṣa der negativen Kontrolle bzw. dem Placebo.

Gemäß der indischen Wissenstradition ist ein Versuch, einen kausalen Zusammenhang zwischen einer bestimmten Reihe von Phänomenen zu begründen, nur dann gültig, wenn dieser in Bezug auf positive und negative Kontrollen bewertet wurde. Dies entspricht voll und ganz dem modernen Konzept von kontrollierten klinischen Studien. Gleichsam werden in der Biomedizin zum Teil auch andere Evidenzgrade, wie z.B. Einzelberichte, Fallstudien, Beobachtungsstudien und ähnliches, akzeptiert. Aufgrund der vorliegenden Diskussion können wir vermuten, dass Ayurveda gegenüber vielfältigen Ansätzen zur Erlangung von Nachweisen und Wissen offen ist. Solch ein Ansatz taucht neuerdings auch in der Biomedizin auf und es gibt Diskussionen zum Thema Evidenzgrade. Allerdings sind in beiden Systemen Gewichtung anders bzw. recht gegenläufig.

Welche Art von Nachweis ist nun für beide Systeme akzeptabel?

Es gibt nur wenige logische Möglichkeiten. Ayurveda auf den reduktionistischen Ansatz der Biomedizin zu schrumpfen wäre ein Lösungsweg. Mit diesem Model wurde bereits experimentiert und es inspirierte, wenn auch mit begrenztem Erfolg, zu neuen Wegen zur Identifikation neuer Wirkstoffe. Ethnopharmakologie und Bio-Prospecting (Sammeln und Analysieren von in der Natur vorkommenden Stoffen), welche auf der Erlangung von Hinweisen und Aufschlüssen aus der traditionellen Medizin zur Entwicklung neuer Medikamente basieren, repräsentieren einen Weg, bei dem ein wissenschaftlicher Ansatz im Ayurveda angewandt werden kann. Die Mehrheit der heutigen Ayurveda-Forschungsstudien richtet sich auf einzelne Komponenten von Ayurveda-Behandlungen, sei es ein Kraut, eine Rezeptur oder Therapie. Innerhalb dieses Prozesses verlieren wir den Blick auf den gesamten Ayurveda-Heilansatz, der hauptsächlich multimodal und ganzheitlich ist.

Wenn man versucht, die Ganzheitlichkeit des Ayurveda zu bewahren, so landet man letztendlich bei niedrigeren Evidenzniveaus. Einzelbereichte, Fallstudien und Beobachtungsstudien scheinen in der Lage zu sein, die Gesamtheit des ayurvedischen Ansatzes zu erhalten, jedoch ist die Qualität der erlangten Nachweise fragwürdig. An diesem Punkt scheinen Wissenschaft und Ayurveda auseinanderzustreben. Wählt man die Präzision der Wissenschaft, verliert man die Ganzheitlichkeit des Ayurveda und umgekehrt. Die Frage ist nun: “Können wir beides gleichzeitig haben?”

Es muss betont werden, dass diese Frage im Kontext der Gegenüberstellung von Biomedizin und Ayurveda einen gewissen Stellenwert einnimmt. Denn wir untersuchen die Möglichkeiten eines aussagefähigen Dialogs zwischen den Befürwortern der beiden Systeme. Vielleicht ist es nicht von primärer Bedeutung, lediglich die Praxis des Ayurveda zu erhalten. Jedoch die Tatsache, dass sowohl in der Ayurveda-Tradition als auch in der Biomedizin eine Übereinstimmung hinsichtlich des Bedarfs nach Evidenz existiert, dürfte es wert sein, zu untersuchen, ob es eine Möglichkeit gibt, einen Evidenzansatz zu entwickeln, der die Lücke zwischen den beiden Systemen überbrücken würde.

Es gibt Grund zur Hoffnung, dass offene Diskussionen und vielerlei Austausch zwischen Ayurveda-Ärzten und Wissenschaftlern der modernen Medizin letzten Endes helfen können, aus gegenseitigem Respekt und Verständnis heraus einen Ansatz zur Evidenzerlangung zu finden. Dieser könnte sich sehr wohl vom konventionellen auf Beobachtung beruhenden Forschungsmodell oder dem kontrollierten klinischen Studienmodell unterscheiden. Vielleicht gründet der Ansatz auf beiden Modellen, wurde aber entsprechend modifiziert und angepasst. Ein genauerer Blick auf die Ayurveda-Tradition zeigt, dass es sich hierbei um ein Wissenssystem handelt, welches fähig ist, sich den Herausforderungen der Wissenschaft zu stellen und zielgerichtet voranzuschreiten.

Mit innovativen Ideen – inspiriert durch eine Denkweise, die über den Tellerrand hinausschaut – könnten wir uns in Zukunft in der Position wiederfinden, in der wir eine gute Wissenschaft betreiben, welche die ayurvedische Praxis bestätigt und untermauert und somit sowohl die höchsten wissenschaftlichen Ansprüche als auch die authentische Praxis des Ayurveda bestätigt. In diese Richtung müssen wir den Ball ins Rollen bringen!

Vaidya Ram Manohar

Vaidya Ram Manohar MD (Ayu)

ist als Ayurveda-Arzt, -Forscher und -Pharmakologe in ganz Indien, Europa und den USA tätig. Der zukunftsweisende Ayurveda-Mediziner ist Forschungsdirektor der berühmten Arya Vaidya Phamacy in Coimbatore und leitet im Auftrag des indischen Gesundheitsministeriums große Research-Projekte in und außerhalb Indiens.

Seine medizinischen und spirituellen Wurzeln hat der eloquente Ayurveda-Arzt in Südindien: Hier erhielt er eine umfassende traditionelle Ayurveda-Ausbildung, in welcher auch die spirituelle Schulung einen besonderen Stellenwert hatte. Sein tiefes Wissen um die psychomentalen und spirituellen Therapiemethoden des Ayurveda gibt er heute im Rahmen von Vorträgen und Seminaren weiter. International hat sich Dr. Ram Manohar vor mit innovativen Studiendesigns im Bereich der Ayurveda- und CAM-Forschung einen Namen gemacht und ist Mitglied renommierter Forscherteams in Indien, den USA und Europa.